500 Jahre Rochhausmühle

In einem kühlen Grunde – die Rochhausmühle wird 500:

„Von Gottes Gnaden, wir, Moritz herzogk von Sachsen und Marggraffe von meißen, bekennen vor uns unnd unsere erben, unnd thuenn kundt an diesen unsere brieffe vor allermeniglich, das wir unsern lieben Fabian Richter zu Margkbach unnd seinen rechtenn ehelichen gespornen leibes lehens erben das gerichte daßelbst zu Marchbach bey des Pfarrnerskirche zu waltkirchen anzufahren unnd oben den Kirchsteig hindurch bis uff Matthes Ohmen zum grünheynichen an deme birnbaum hinnauf zur fichten an Hans Ungers Wegk über Caspar Ohmen Guth, bis an den Wegk, der geht zur Ulmezmühl. Das bechlein hinnauf bis an das Börnchen, die Straßen hin bis zur leymgruben hinter dem frauenholz, vom leymgruben bis zu des pfarhers Teich…“

So steht es in mittelalterlichen Lettern geschrieben, im Lehnsbrief des Lehnsrichters zu Marbach. Ein solcher war gewissermaßen sowas wie der Bürgermeister des Ortes. Ausgestattet mit vielerlei Privilegien und dem größten Stück Land. Den Grenzbezeichnungen können wir heute nicht mehr viel entnehmen. Aus Chroniken kennen wir die uralten Namen – der „obere und der untere Oehme“, das „Bechlein“ gibt es noch und die Mühle in paradiesischer Landschaft. Reimen wir uns zusammen Ulmezmühl = Rochhausmühle , leymgruben = lehmgrube , bechlein = der Bach zwischen Grünhainichen und Marbach. Vielleicht war es ein sonniger Frühlingsmorgen des Jahres 1521. Die Saat war noch nicht ausgebracht, die Felder frei. Da machten sie sich auf den Weg – Fabian Richter zu “ Margkbach“ und sein „Vorgesetzter“ der Erbrichter vom Schellenberger Amt. Die Grenzen des größten Marbacher Lehens sollten abgeschritten werden, für den neuen Lehensrichter. Beim Rundgang traf man dann wohl auch die Lehensanrainer – den Waldkirchner Pfarrer, Mats und Caspar Öhme zu Grünhainichen, Hans Enger, Brethmüller Uhlman und den Besitzer der Lehmgrube hinter dem Frauenholz. Ein zünftiges Essen zur schriftlichen Festlegung im Lehengerichtsgut in Marbach dürfte sich angeschlossen haben. Vielleicht war es so? Oder so ähnlich? Oder eben ganz anders?

1521 – Ein höchstinteressantes Jahr. Luther wirft dem Kaiser in Worms sein „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ entgegen. Die Antwort war die Reichsacht – jeder kann ihn töten. Die Türken erobern Belgrad und selbst die „gebürgischen Orte“ Sachsens müssen Mannschaften zum Kriege stellen. Am 29. Juli wird die Stadt Marienberg abgesteckt und ihr Bau begonnen. Die Pest richtet furchtbare Verheerungen an. Allein in Freiberg sterben von August bis Januar über 2000 Menschen. In Annaberg werden fast alle Schüler dahingerafft. Sie hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich, die alte Ulmezmühl – auch als Ulzemühl oder ulemanns möle bezeichnet. Sie war Breth-, Öl- und später auch Papiermühle. 1528 brennt Schellenberg (heute Augustusburg) fast zu 100 Prozent nieder. Es muss wieder aufgebaut werden. Bauholz wird stets gebraucht. 1547 entzünden sich die Reste der alten Schellenburg durch Blitzschlag. Die Ruine wird abgetragen. Am 3. März 1568 wird dann der Grundstein „zu dem neyen Schlosse Augustusburg“ gelegt. Der Bau wurde mit solchem Eifer betrieben, dass 1000 Menschen angestellt waren. Die „ Amtsunterthanen wurden mit harter Frohne sehr belästigt, in dem die Bauern Material anfahren…täglich 100 Mann liefern mussten “.

Eine Blütezeit dürfte dieser Bau der Augustusburg für die kleine Brettmühle im Trübebachtal gewesen sein. Unmengen Holz wurden gebraucht und „Ullmans Möle“ lag ja praktisch gleich hinter‘ m Berg. Allerdings soll die Zahlungsmoral der hohen Herren miserabel gewesen sein. Bin ich heute auf dem Schloß, frage ich mich manchmal, welche der Balken hier wohl ihre Form auf Ulemans Sägegatter bekommen haben?

Aber auch die vielen Hersteller von „allerley hölzerner Waar“ in Grünhainichen und den umliegenden Dörfern dürften dem Brethmüller Lohn und Brot beschert haben. Nebenbei betrieb man noch eine kleine Land – und Teichwirtschaft.

Die Abgelegenheit der Mühle, sicher romantisch und schön, barg aber gerade in unsicheren Zeiten, auch große Gefahren. So verschwindet die Mühle während und lange nach dem 30jährigen Kriege von den alten Karten. Was mag geschehen sein? Man kann es nur mutmaßen. Leider fließen die chronistischen Quellen hier spärlich. Morde und Verwüstungen in Grünhainichen durch bayrische Soldaten sind 1639 belegt. Das Marbacher Lehngut lag im selben Jahr wüst. Adam Richter (wohl ein Nachfahre des Fabian R.) wurde „bis auf den Tod gepeinigt“. Alles hatten die Schweden mitgenommen. Es gab kein Vieh und kein Saatgut. Die Dörfer wurden regelrecht entvölkert. Und so geht sie weiter die Geschichte der Rochhausmühle – Frieden und noch viel mehr Kriege wechseln einander ab. Um 1700 ging es den Menschen langsam wieder besser.

Spärlich fließen die Informationen über unsere Rochhausmühle nach dem 30-jährigen Krieg. Sie wird keine große Bedeutung gehabt haben, die kleine Mühle im Trübebachtal. Aber immer wieder taucht sie auf alten Landkarten auf. Meist als Brett- aber auch als Oelmühle.

Die Kriege hören nicht auf. Mit ihnen Einquartierungen von Preußen, Italienern, Franzosen, Österreichern, Kosaken, Kroaten. Plünderungen, Pest, Missernten und Teuerungen. Die kleine Mühle kämpft sich durch das Dasein und wird wohl nicht selten heimgesucht worden sein. Abgelegene Gehöfte waren bevorzugte Opfer jeglicher Streuner.

Um 1790 – Karl Stülpner, der Wildschütz und seine Gesellen streifen durch unsere Wälder. Geliebt von den kleinen Leuten, gejagt von der Obrigkeit. Fanden sie Unterschlupf in der abgelegenen Mühle? Man könnte es annehmen, die Lage ist prädestiniert – wissen tun wir es nicht.

In einer Oktobernacht 1813 schaut der Pastor von Schellenberg (heute Augustusburg) vom Kirchturm „gen Marbach“ und zählt über 300 „Bivouacfeuer“ auf den Feldern in Richtung Grünhainichen. Tausende Soldaten vieler Nationen bevölkerten unsere Fluren auf dem Weg zur großen Völkerschlacht bei Leipzig. Gefechte auf den Wiesen hinter der Waldkirchner Kirche. Wie mag es den Müllern dabei ergangen sein? Viele Fragen, aber leider gibt es nur wenige erhaltene Zeugnisse aus diesen Zeiten. Zuviel ist verloren gegangen, wurde vernichtet oder schlummert (hoffentlich) noch irgendwo auf Dachböden oder in Archiven.

Wirtschaftlich tut sich einiges nach den Befreiungskriegen, aus denen Sachsen als großer Verlierer hervorgeht. Friedrich Gottlieb Keller aus Hainichen entwickelte 1843 in Kühnhaide bei Marienberg die Papierherstellung aus Holzschliff. Eine Erfindung von Weltrang – schuf er doch damit die Grundlage zur industriellen Massenproduktion billigen Papiers. Die bis dato übliche Methode der Herstellung aus Textillumpen (Hadern) stieß auf Grund des Mangels an Lumpen bereits um 1700 an ihre Grenzen. Am 11. Oktober 1845 wurde die erste Zeitung in 80 Exemplaren auf Holzschliffpapier gedruckt.

Und hier kommt erstmalig die Familie Rochhausen ins Spiel. Um 1820 taucht Heynrich Rochhausen, gewesener Schichtmeister und Factor auf dem Hammerwerk Großpöhla in Marbach auf. Mit seinen 2 Söhnen Carl Julius und Carl Domenicus betreibt er die Brettmühle und die kleine Landwirtschaft. Laut mündlichen Überlieferungen seiner Nachkommen soll er dafür „nicht angegangen sein“.

In der nun lukrativen Papierherstellung sah Carl Julius Rochhausen seine Chance. Er wandelte die alte Brettmühle in eine moderne Papiermühle um. Gleichzeitig gab er ihr seinen Namen – Rochhausmühle. Seinem Erben – Ernst Julius war bereits wieder weniger Glück beschieden. Schnell wurde das kleine Papiermühlchen von den Großen überrundet. Nur wenig bachabwärts an der Flöha entstand die Papierfabrik Siegel & Haase. Größere Wasserkraft, größere Maschinen ließen die kleine, schon wieder altmodische Papiermühle um ihre Existenz bangen. Selbst der Einbau einer teuren Dampfmaschine konnte sie nicht retten. Der erste Konkurs kam bereits am 14. März 1885, weitere folgten. Aber auf irgendeine Weise rappelte sich Rochhausen immer wieder auf. Sie kämpften die Rochhausens, mit 14 Kindern und dem Mut der Verzweiflung von einem Konkurs zum Nächsten. Doch 1904 war Schluss – die Rochhausmühle wurde von Siegel & Haase aufgekauft. Haase vermietete ( !! ) Rochhausen seine eigene Mühle noch einige Zeit als Holzschleiferei. Die Rochhausens verzogen um 1905 nach Kemtau und führten dort noch Jahrzehnte bis in die DDR-Zeit hinein, eine Papiermühle.

1907 ließ Haase einen Teil der Mühle abreißen und für seine Ingenieure ein modernes Wohnhaus im Schweizer Stil errichten. Es soll das erste seiner Art in unserer Gegend gewesen sein. Das blaue, erzgebirgische Schieferdach des Fachwerkhauses musste roten Biberschwänzen weichen. Fachwerk und schneeweißer Lengefelder Kies auf dem Zufahrtsweg müssen in der traumhaften Landschaft regelrecht luxuriös gewirkt haben. Das Wasserrad der Mühle lieferte noch bis 1923 eine geringe Menge Strom.

1945 der 2. Weltkrieg war vorbei. Die englischen und amerikanischen kriegsgefangenen Zwangsarbeiter, die in den Baracken unterhalb der Mühle untergebracht waren, kamen in Freiheit. Ihre SS-Bewacher über alle Berge. (Das wäre ein Kapitel für sich). Käthe Haase, als letzte Privatbesitzerin der Papierfabrik wurde schon 1946 enteignet. Drei Jahre später wurde der „Staat der Arbeiter u. Bauern“, die DDR, gegründet. Die Papierfabrik Grünhainichen wurde verstaatlicht und mit ihr die Rochhausmühle. Sie wurde nun ZENTRAGBetrieb. In der sowjetischen Besatzungszone unterstand sie dem Zentralkomitee (ZK) der SED und wurde direkt vom Apparat des ZK geleitet. Als SED- Parteibetrieb war man finanziell gut für Investitionen aufgestellt und darauf ein ehrgeiziger Plan entwickelt.

Kaum zu glauben aber wahr – die alte Rochhausmühle sollte gänzlich abgerissen werden und auf ihrem Gelände die AWG mit 120 Wohnungen entstehen. Zudem eine Poliklinik (!), eine Kindertagesstätte, eine KONSUM-Verkaufstelle, eine Gaststätte (Kaffee für die Bewohner und Ausflugslokal) sowie ein bis zwei Handwerksbetriebe. Vorprojekt, Bauzeichnungen, gar ein Modell und Kostenkalkulationen waren bereits 1954 fertig. Übrigens – im Jahre 1952 forderte man zum Bauantrag „die Bebauung im ländlichen, erzgebirgischen Stil“ – vorbildlich. Der Plan für einen am Oberlauf des Trübebaches zu bauenden Hochbehälters zur Wasserversorgung der neuen „SIEDLUNG ROCHHAUSMÜHLE „incl. Bodenerkundung und hydrologischen Vorgutachten war in Sack und Tüten.

Geplant bis ins letzte Detail, blieb das schöne Rochhaustal letztendlich verschont, als die Papierfabrik ihren Status, als ZENTRAG-Betrieb verlor. Schon bald wurde es wieder still um die Mühle. Werkswohnungen für Arbeiter, nicht selten sich selbst überlassen und bald bewirtschaftet vom VEB Gebäudewirtschaft. Im Mangelstaat DDR ging dieser Firma im Volksmund eine Losung voraus: „Ruinen schaffen ohne Waffen“. Und so verfiel die Bausubstanz der Mühle mit den Jahren zusehends. 10 Mietparteien, auf Vorkriegsniveau wohnend, mit Plumpsklo, Gemeinschaftsbad, vielen Schuppen, Schüppchen, Lauben, Gewächshaus und Karnickeln – lebten zweifellos trotzdem glücklich und zufrieden in ihrer beinahe Selbstverwaltung auf der grünen Insel abseits vom Ort. Daselbst geriet die Enklave fast in Vergessenheit.

Aber Schwärmer gab es auch – Emil Helbig, unser allseits bekannter Schnitzer und Heimatfreund aus Grünhainichen schrieb in den 1960ern ein Gedicht, welches jahrzehntelang eine Ruhebank an der Marbacher Straße zierte:

Wenn Du nicht weißt, wohin an einem schönen Tag zu wandern,

besonders, wenn die Sonne lacht.

Du willst entfliehn dem lästigen Lärm der Andern,

die Dich um Deine Ruh gebracht.

Ich weiß ein Fleckchen schönster Erde, dass Dich erlöst von Lärmes Qual,

das wieder Friede Deiner Seele werde –

Geh hin und lauf durch’s Rochhaustal

Anfang der 1960er Jahre wurde die Rochhausmühle als Ortsteil von Marbach nach Grünhainichen umgewidmet. Interne Begründung soll wohl die größere Nähe und bessere postalische Zustellung gewesen sein. 1989 – die Wende … nach und nach verließen immer mehr Mieter die Mühle. Sieben Jahre später, 1996, wurden die Häuser des ehemaligen VEB-Gebäudewirtschaft zum Verkauf ausgeschrieben. Nicht selten betraten Spekulanten und Glücksritter aus dem Westen das Geschehen um die alten Ostimmobilien. Es gab sogar Gedanken, die Rochhausmühle leer zu ziehen, alle Fenster raus, einen Bauzaun drumrum und als Biotop der Natur zu überlassen. So Worte des damaligen Bürgermeisters.

Die Gemeinde Grünhainichen ließ sich nun von den Kaufinteressenten Nutzungskonzepte vorstellen. Wohl gelernt aus den Fehlern der Vergangenheit, entschied nicht mehr allein das Geld, sondern auch, ob die Vorstellungen, des künftigen Besitzers für die Entwicklung der Immobilie, abrechenbar mit Gemeindeinteressen konform gingen. Bei Nichteinhaltung räumte sie sich vertraglich ein Rückkaufsrecht ein (wäre das nicht eine gute Strategie für manch andere Immobilie heutzutage?).

1997 konnte ich, Ralph Geisler – Ortskind, Freund alter Fachwerkhäuser und Antikhändler mit akutem Platzmangel, zu meiner großen Freude, die Rochhausmühle kaufen. 1998 gesellte sich das Pferdehöfchen zu uns – eine optimale Nutzung für die drei Hektar Wiesen.

Zum „Großen Glück“ mengten sich aber auch nicht selten Zweifel, ob es mir gelingen würde, meiner „maroden Perle“ wieder Leben einzuhauchen. Beinahe jegliche Historie war wegmodernisiert, die Bausubstanz schlecht, die Banken nicht sonderlich kooperativ mit unsereins. Das Umland war durch die Bewohner regelrecht zugemüllt! Es ist mir heute noch völlig unerklärlich, in welch unverschämter Weise ehemalige Mieter ihren Unrat in Grundstück, Bach und Teich verstreuten. Um die 60 (!!) LKW Fuhren, vom Wohlstands- bis Sondermüll, Garagen, Schuppen mit Inhalt, mussten wir im Nachhinein entsorgen. Man stelle sich einmal die Kolonne vor! Die kleinen Teiche, die Hausgärten und einige Wiesen verkamen regelrecht zu privaten Mülldeponien. Keiner wollte verantwortlich sein.

„Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt“ oder „Der Weg ist das Ziel“. Wir machten halt das, was für den Moment machbar und finanzierbar war. Stück für Stück. Alte Rochhausmüller halfen uns mit Foto’s und Erinnerungen, Verwandte und Freunde tatkräftig auf der Baustelle mit. Die Gemeindeverwaltung, Handwerksbetriebe – top ! Unsere Kundschaft im 2002 entstandenen Laden konnten es, wie so viele, nicht fassen, dass wir ein Ladengeschäft „am Ende der Welt“ eröffnen, aber sie kamen recht zahlreich – vielleicht gerade deswegen (Unser Motto – „Wer hier kommt, bringt Dreie wieder mit !). Die Zweifler sind längst verstummt. Uns geht es gut. Wir sind angekommen. Wir hatten das Glück, unser Hobby zum Beruf machen zu können. Altes für zukünftige Generationen bewahren. Achtung vor dem Erbe unserer Vorfahren und Nostalgie leben ist unser Lebensinhalt geworden. Die Rochhausmühle lebt – ein halbes Jahrtausend 1521–2021 – Danke Ullmannmüller, Danke Ernst Julius und Ihr längst Vergessenen!

Der Mühle Schönheit lang versteckt, hab ich sie wieder aufgeweckt. Mögen ihre alten Mauern, neu saniert noch lange dauern